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Kraft trifft Präzision

Oktober 14, 2021
Klavierbauer Waldemar Lutz ist Künstler und vielseitiger Handwerker gleichermaßen. Er vereint Feingefühl mit kraftvollem Zupacken. Und hat natürlich ein gutes Ohr – für das Instrument und für seine Kunden.

Leidenschaft, fachliche Expertise, Verlässlichkeit und Präzision – es versteht sich von selbst, dass ein Klavierbauer diese Attribute in seinem Berufswesen vereint. Für Waldemar Lutz gilt noch eine Eigenschaft: „Man muss verrückt sein.“ Das sagt er selbst – mit einem breiten Lächeln. Freilich ist der Klavierbauer durch und durch Handwerker: Schlosser und Metallbauer, Schreiner und Holzbearbeiter, Feinmechaniker sowieso. Denn es sind viele kleine und kleinste Teile zu bearbeiten, dafür bedarf es der Exaktheit feinfühliger Hände. Aber auch Kraft ist erforderlich: Ein Klavier ist ein Schwergewicht und bringt je nach Baugröße 200 bis 300 Kilogramm auf die Waage. Waldemar Lutz muss außerdem viel unterwegs sein – besonders in den Tagen direkt vor Weihnachten fährt er viele Kilometer, wenn unzählige Klaviere in den guten Stuben des Landes noch rasch vor dem Fest zu stimmen sind.

    

Das Klavier, das Klavierspiel ist hierzulande weithin populär und beliebt. Es „beflügelt“ unser Leben. Spätestens seit Johann Sebastian Bach vor rund dreihundert Jahren prägt es die Geschichte der Gesellschaft im Allgemeinen und der Musik im Besonderen. Das Klavierspiel entspannt, inspiriert, belebt, erfreut. Es dient den Menschen zur kulturellen Erbauung und Geselligkeit. Es regt die Sinne an und ist Quelle des Genusses. Aus gutem Grund leisten sich Familien dieses Instrument und schicken ihre Kinder schon in frühen Jahren zum Unterricht. Für Komponisten ist das Klavier unentbehrliches Arbeitsmittel, dem Konzertmusiker Grundlage für den Broterwerb, dem Chor Begleitung hin zum großen Auftritt. Manchen Menschen ist es auch bloß ein repräsentatives Möbelstück; allein ein solches Instrument zu besitzen, stiftet Freude. Wer nicht nur Platz hat, sondern viel Platz, entscheidet sich für den Flügel. So ist Waldemar Lutz von unterschiedlichen Musikfreunden umgeben – und muss deshalb auch Menschenkenner sein.

     

Diplomat obendrein. „Wie kann man guten Klang beschreiben oder gar messen?“, gibt er zu bedenken. Guter Klang ist auch Geschmacksache, und Geschmack lässt sich nicht messen. „Es zählt, was dem Kunden gefällt.“ Vor allem aber muss der Klavierbauer selbst ein Künstler sein. Muss sich in die Persönlichkeit eines professionellen Pianisten hineinversetzen können und die Abläufe des Musikbetriebs kennen. Muss das Geschäft verstehen.

Und den Hobbymusiker gleichermaßen respektieren. Waldemar Lutz stellt sich diesen Herausforderungen. Liebt seine Arbeit. „Besessen muss man auch sein.“ Der Spätaussiedler hat die Klavierbauerei seinem Vater abgeschaut und zunächst das Studium zum Diplom-Geigenlehrer abgeschlossen. Seit 27 Jahren ist er selbst Klavierbauer und beherrscht Kunst, Handwerk und Psychologie gleichermaßen. In seiner Mannheimer Werkstatt warten viele wunderschöne – aber auch vernachlässigte – Instrumente auf ein neues Leben und wollen wieder klingen. Manche sind 100 oder 150 Jahre alt – mal schlicht, mal bemerkenswert kunstvoll gestaltet.

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Nirgendwo sonst auf der Welt als hierzulande ist das Klavier so weit verbreitet. Das erste Exemplar überhaupt – mit Hammermechanik konstruiert – wird dem Hofinstrumentenbauer der Medici Bartolomeo Christofori aus Padua zugeschrieben und auf das Jahr 1698 datiert. Der Grundaufbau ist bis heute gleichgeblieben: Über die Klaviatur, die direkte Verbindung der Künstlerhände zur Mechanik, wird das Tastenspiel des Pianisten in Bewegungen der Hammerköpfe übersetzt, die ihrerseits die Klangsaiten zum Schwingen bringen. Aus der Energie der Pianistenhand entstehen über Tasten, Hammerköpfe und Saiten Schallwellen, die das Ohr des Zuhörers erreichen und in seinem Gehirn die unvergleichlichen Pianotöne generieren. Waldemar Lutz sorgt dafür, dass das komplexe mechanische Spielwerkgefüge aus Holz, Filz, Leder, Federn, Drähten, Stiften, Schrauben und Saiten exakt aufeinander abgestimmt ist und somit alle Bauteile perfekt miteinander harmonieren – denn nur dann entfaltet das Instrument seinen einzigartigen Klang und Ausdruck.

Ein Klavier ist ein Schwergewicht, weil Gussrahmen und Holzverstrebungen beachtliche Kräfte aufnehmen und deshalb wuchtig konstruiert sind – es summieren sich rund 18 bis 20 Tonnen Zug, die an den Saiten zerren und die der Korpus tragen muss. Der handwerkliche Umgang mit dem Klavier erfordert daher den robusten Einsatz von Gurten, Schraubstock, Klemmen, Zangen, Zwingen, Stimmhammer und weiterem soliden Werkzeug. Zugleich ist es aber die äußerst feinfühlige Handhabung der kleinen und kleinsten Bauteile, die Bearbeitung und Behandlung der edlen und filigranen Elemente sowie der teils kunstvoll zieselierten Gussornamente, die das Pianoherz wieder zum Schlagen bringen. Mit erneuerten Saiten, Stimmwirbeln, Hammerköpfen und einer überholten Klaviatur haucht Waldemar Lutz dem Wunderwerk an Präzision und Zuverlässigkeit neues Leben ein. Damit es den Musikliebhaber berühren und bewegen kann. ***

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