Il Vesuvio – der schlafende Gigant
Der Vesuv schläft, er tut nichts. Zumindest derzeit nicht, aber irgendwann wird er wieder toben. Wissenschaftler und Beobachter sind sich darin einig, dass der nächste Ausbruch kommt. Wann allerdings, das ist ungewiss. 1944 ereignete sich die jüngste Eruption, seither ist Ruhe. Diese Phase kann Jahrhunderte dauern. Dass im Inneren etwas im Gange und die Ruhe nur oberflächlich ist, lässt sich an den Fumarolen festmachen, die an vielen Kraterstellen aufsteigen. Da keimt beim Beobachter Respekt auf. Hier zu stehen, am Rand des rund 600 Meter durchmessenden, etwa 200 Meter tiefen Schlunds, auf einem fast perfekt geformten Vulkankegel 1.280 Meter über dem weiten, atemraubenden Ausblick auf den Golf von Neapel, ist beeindruckend.
In Sichtweite Richtung Ischia und Procida ist die Region der phlegräischen Felder auszumachen, die derzeit vulkanisch sehr aktiv ist. Erst im Mai, Juli und August in diesem Jahr haben heftige Erdbeben diese dichtbesiedelte Gegend im Südwesten Neapels schwer erschüttert. Die nächste Gefahrenlage droht. Es geht um 500.000 Bewohner und um die heikle Gratwanderung zwischen Aufklärung einerseits und Panikvermeidung andererseits. In Pozzouli-Solfatara wollte ich die schwefeldampfende Erde sehen, unter der es brodelt. Doch es wurde ein trostloser, grauer Ausflug ohne Bild. Nicht nur, weil es in Strömen regnete und tiefhängende Wolken den Landstrich komplett vernebelten. Im Ungewissen liegt auch die Zukunft, und das spiegelt der Zustand von Gebäuden und Infrastruktur wider. Fassaden, Höfe, Bürgersteige: Aus allen Fugen schießt das Kraut. Der Betrachter empfindet resignative Ausverkaufsstimmung. Oder ist das vielmehr die süditalienische Unbekümmertheit, die uns doch so anzieht? Dennoch: “Chiuso.” “Vendesi”. Das ist auffallend häufig zu lesen. Wann also wird es hier wieder losgehen, auch am Vesuv? Die Natur entscheidet, ohne zu fragen. Noch schläft er und tut nichts, aber seine brodelnde Magmakammer wird sich wieder entleeren, irgendwann.